BitterWeber www.lot.at




Die in Vancouver und Wien lebenden KünstlerInnen Sabine Bitter und Helmut Weber arbeiten seit 1993 an gemeinsamen Projekten, in denen sie sich mit urbanen Konstellationen, städtischen Räumen und deren besonderen Architekturen auseinandersetzen. Im Mittelpunkt ihres Interesses steht dabei nicht die Architektur per se, sondern sie betrachten Räume in Hinblick auf politische, ökonomische, soziale und geschlechtsspezifische Zusammenhänge und loten dabei die Möglichkeit aus, urbane und architektonische Strukturen vor dem Hintergrund ihrer Potenziale für umfassende soziale Veränderungen zu lesen und kritisch – visuell — zu kommentieren bzw. zu analysieren.
Zentral in vielen ihrer Foto-, Video- und Medienarbeiten ist einerseits die Analyse transformierter Räume, denen die Moderne ihren Stempel aufgedrückt hat und andererseits die sich vergrößernde Kluft zwischen den viel strapazierten Verheißungen der Moderne und den realen Auswirkungen des Neoliberalismus.

Im Versuch, den Vorwurf des Scheiterns der Moderne zu entkräften, spielen sie ihre Version eines partizipativen und damit politischen Modernismus gegen einen neoliberalen Post-Urbanismus aus, der das Soziale nur mehr als ökonomischen Faktor denkt. Die Ausstellung „Live like this!“ zeigt vor allem Arbeiten, die im Zusammenhang mit der Teilnahme von Bitter und Weber am „CaracasCase“-Projekt – einem Forschungsprojekt zum urbanen Raum, das vom „Caracas Urban Think Tank“ und der deutschen Bundeskulturstiftung initiiert wurde – entstanden sind. Während eines sechsmonatigen Aufenthalts stießen sie auf städtische Prozesse in der venezolanischen Hauptstadt Caracas, die im Zentrum umfangreicher sozialer Veränderungen stehen. So finden städtische Aneignungs- und Umgestaltungsprozesse statt, die maßgeblich von jenen BewohnerInnen bestimmt werden, die noch vor wenigen Jahren von politischen Entscheidungen weitgehend ausgeschlossen waren; Initiativen „von unten“, die sich auf produktive Weise mit den von der Regierung Hugo Chávez „von oben“ initiierten Reformprojekten der „Bolivarianischen Revolution“ verbinden.

Ein exemplarischer Schauplatz dieses von Bitter und Weber beobachteten „transformativen Urbanismus“ ist „23 de Enero“, ein Stadtteil mit Elendsquartieren und Superblocks. Die in den 1950er Jahren während der Diktatur von Marco Péres Jiménes unter der Leitung des Architekten Carlos Raúl Villanueva entstandene Megastruktur wurde im Zuge des Volksaufstandes von 1958 in einer Massenbesetzung von der mittellosen Unterschicht in Besitz genommen. In ihren Foto- und Videoarbeiten spüren BitterWeber den Möglichkeiten und Grenzen von derartigen Aneignungsprozessen sowohl von Architektur als auch von politischen Strukturen nach und stellen u. a. die Frage, welches Potenzial die neuen Verfassung für die Wiederaneignung von städtischem Terrain und Wohnraum bietet. „Indem Bitter und Weber den formalen und menschlichen Paradoxons des modernen Projekts, das den sozialen Wohnungsbauprogrammen und städtebaulichen Experimenten der 1940er bis 1970er Jahre in Venezuela und darüber hinaus in ganz Lateinamerika zugrunde lag, Sichtbarkeit verleihen, stimmen sie mit den Anliegen einer jungen Generation von ArchitektInnen und UrbanistInnen überein, die sich weder mit den brutalen Lösungen des Neoliberalismus noch mit übereilt zusammengeflickten Programmen zur sozialen Befriedung abfinden wollen. Stattdessen sind sie sich der Unzulänglichkeiten und Fehlschläge in der Geschichte der konfliktreichen Beziehung zwischen Architektur und sozialem Projekt bewusst.“ (Catherine David)

Die Ausstellung zeichnet in Ausschnitten die langfristige Auseinandersetzung von Sabine Bitter und Helmut Weber mit den Prozessen nach, die unsere Städte als soziale wie politische Räume in uneinheitliche Landschaften aus neoliberalen und nationalen Räumen und selbstorganisierten Gemeinschaften verwandeln. Diese Prozesse laufen auf mehreren geografischen Ebenen gleichzeitig ab und sind kein neues Phänomen. Die Projekte von "LIVE LIKE THIS!" stellen Orte vor, an denen das globale Projekt des Neoliberalismus auf lokale und nationale Zusammenhänge trifft und dabei entweder in den jeweiligen kultur- und ortsspezifischen Kontext Europas, Nord- und Südamerikas integriert oder aber mit Lebens-, Organisations- und Wohnformen konfrontiert wird, die sich den marktorientierten Politiken ebenso verweigern und entgegenstellen wie den atomisierenden Effekten der Neoliberalisierung urbaner Räume. Es wird den Veränderungen nachgespürt, denen die Natur sozialer Versprechen im Laufe der letzten fünfzig Jahre unterworfen war. Und die häufig kritisierte Geschichte der Moderne, insbesondere jene der modernen Architektur und Stadtplanung, eröffnet in verdichteter Form die Möglichkeit zur erneuten Auseinandersetzung mit den Debatten über die Moderne und zum Verständnis der Niederlagen und Siege, die in das Fundament der Globalisierung eingeflossen sind.



aus der Serie: BRONZEVILLE 2005

Eröffnung mit einer Lesung von Raul Zelik:
22. Juni 2006, 19 Uhr
Ausstellungsdauer:
23.06. - 09.09.2006 (verlängert!)

Ort:
aut. architektur und tirol
lois welzenbacher platz 1
6020 innsbruck. austria

office@aut.cc



Publikation:
BitterWeber: LIVE LIKE THIS!
Mit Texten von Catherine David, Reinhard Braun, Jeff Derksen und Neil Smith,
sowie einem Gespräch der Künstler mit Bik Van der Pol [Liesbeth Bik, Jos van der Pol], Ken Lum, Andrea Geyer, Jayce Salloum, Marina Grzinic, David Thorne und Julia Meltzer (The Speculative Archive).
Engl. / Dt., 196 Seiten, herausgegeben von Reinhard Braun.
Edition Camera Austria 2005.
EUR 27,00

Erhältlich im Fachbuchhandel und direkt bei Camera Austria:
distribution@camera-austria.at

Edition Camera Austria 2005.